Wer heute einen Blick in den Kalender wirft, wird feststellen, dass der April sich langsam dem Ende zuneigt. Viele Menschen planen bereits ihre Feierlichkeiten zur Walpurgisnacht oder den Tanz in den Mai. Doch für Musikfans ist der kommende Monat Mai viel aufregender – es ist Zeit für den alljährlichen Eurovision Song Contest! Die Vorfreude steigt, die Ranglisten werden erstellt und auf den sozialen Netzwerken starten die ersten Diskussionen. In diesem Beitrag werden wir uns gemeinsam die musikalischen Highlights der diesjährigen ESC-Teilnehmer ansehen und dabei mögliche Skandale oder Kontroversen aufdecken. Und natürlich werden wir alle gespannt darauf warten, ob Deutschland in diesem Jahr wieder eine peinliche Zero-Points-Niederlage erleiden wird.
Bevor ich euch jedoch Informationen über die Kandidaten und Songs um die Ohren haue, möchte ich denjenigen von euch, die sich nicht so gut auskennen, eine kurze Einführung geben. Der Eurovision Song Contest (kurz: ESC) ist ein jährlicher Musikwettbewerb, bei dem talentierte Künstler, begabte Songwriter oder skurrile Persönlichkeiten aus Europa (und Australien) ihr Können unter Beweis stellen. In diesem Jahr findet das Event bereits zum 67. Mal statt. Teilnehmen können nur Länder, die Mitglied in der Europäischen Rundfunkunion (EBU) sind – oder eben Australien, das als besonderer (Dauer-)Gast eingeladen ist. Der diesjährige ESC findet in Liverpool, Großbritannien, statt, obwohl das Land den Contest letztes Jahr nicht gewonnen hat, sondern die Ukraine. Doch aufgrund der aktuellen Lage im Land ist es ihnen nicht möglich, den Wettbewerb auszurichten. Deshalb hat sich der Zweitplatzierte bereit erklärt. Nun aber genug mit dem Infodumping. Wer hat das Zeug zum Gewinner und wer wird mit seinem Song gnadenlos durchfallen?
Der bevorstehende Contest bietet eine bunte Mischung aus Musikrichtungen und Bühnenshows, von den klassischen, dramatischen Eurovision-Balladen bis hin zu den Durchschnitts-EDM-Tracks, die sich auf dem Weg zum Lollapalooza verlaufen haben. Doch wie immer gibt es auch die Künstler:innen, die mit ihren einzigartigen Darbietungen und auffälligen Outfits versuchen, aus der Masse herauszustechen. Drei Acts haben es für mich jedoch ganz klar in die Top 3 geschafft: Schweden, Finnland und Frankreich.
Die Stars des Eurovision Song Contest 2023: Loreen, Käärijä und La Zarra
Schweden schickt dieses Jahr beim Eurovision Song Contest einen echten Star ins Rennen: Loreen. Wenn ihr Name bekannt vorkommt, liegt das daran, dass sie bereits 2012 den ESC mit ihrem Hit „Euphoria“ gewann und damit einen der erfolgreichsten ESC-Songs aller Zeiten schuf. In diesem Jahr kehrt sie als Wiederholungstäterin zurück und präsentiert ihren Fans mit „Tattoo“ einen von Kritikern und Fans gleichermaßen gelobten Electropop/House-Song, der an ihren Siegertitel erinnert. Kein Wunder, dass sie beim schwedischen ESC-Vorentscheid, dem Melodifestivalen, mit Bravour gewann und ihre Konkurrenz hinter sich ließ. Auf dem zweiten Platz landeten die Zwillingsbrüder Marcus & Martinus. Loreen, die berberisch-marokkanischer Herkunft ist, nahm 2017 ebenfalls am schwedischen Vorentscheid teil, schaffte es aber mit „Statements“ nicht einmal ins Finale. Mit „Tattoo“ hat sie gute Chancen, das Publikum erneut zu begeistern. Mit ihrem atemberaubenden Gesang, hypnotisierenden Melodien und einer makellosen Produktion wird sie auf jeden Fall für Furore sorgen.
Finnland liefert dieses Jahr einen aufregenden Mix aus den beiden Spezialitäten des Landes: Metal und Pop. Der finnische Rapper und Songwriter Käärijä ist ein vielversprechender Neuling in der Musikszene und hat das Potential, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Käärijä stammt aus Helsinki und arbeitet seit früher Jugend an seiner Musikkarriere. Er entdeckte seine Leidenschaft für Musik durch das Schlagzeugspielen und begann 2014 damit, eigene Songs zu schreiben. Sein ESC-Beitrag „Cha Cha Cha“ ist ein faszinierender Trancecore-Song, der geschickt verschiedene Genres miteinander vermischt und dabei unglaublich eingängig und verspielt ist. Es ist kein Wunder, dass das Lied bereits die Spitze der finnischen Charts erreicht hat und bei Buchmachern nach Loreen als Favorit gilt. In Finnland hat der Song bereits Kultstatus erreicht und Käärijäs Fans sind ganz verrückt nach ihm. Im Lied wird das Getränk Pina Colada besungen, das seit der Veröffentlichung in Finnland wieder zu einem der beliebtesten Cocktails geworden ist. „Cha Cha Cha“ ist wild, brilliert durch eine überwältigende Performance und steht auch bei mir als Favorit ganz oben auf der Liste.
Auch der französische ESC-Beitrag ist definitiv einer, den man nicht verpassen sollte. La Zarra ist eine talentierte, kanadische Sängerin marokkanischer Abstammung, die bereits 2016 ihre Debütsingle „Printemps blanc“ mit dem französischen Rapper Niro veröffentlicht hat. Mit ihrem Hit „Tu t’en iras“ aus dem Jahr 2021 konnte sie bereits in Frankreich auf sich aufmerksam machen und hat mittlerweile sogar Platinstatus erreicht. Ihr Debütalbum „Traîtrise“ ist vollgepackt mit Nouvelle Chanson und französischer Popmusik. Im Januar 2023 wurde von der französischen Fernsehanstalt France Télévisions entschieden, dass La Zarra den diesjährigen ESC für Frankreich vertreten wird. Ihr leidenschaftlicher Nu-Disco-Track „Évidemment“ bedient zwar das Klischee eines französischen ESC-Beitrags, wird jedoch von der Künstlerin traumhaft performt und hat das Potenzial, genügend Stimmen der Zuschauer zu bekommen. Der Song bedient das Klischee eines typischen französischen ESC-Beitrags, aber La Zarras einzigartige Stimme und ihre leidenschaftliche Performance heben ihn von der Masse ab.
ESC 2023: Manipulationen beim polnischen und undurchsichtige Regelungen beim dänischen Vorentscheid
Beim polnischen Vorentscheid zum ESC 2023 scheint es nicht mit rechten Dingen zugegangen zu sein. Die junge Sängerin Blanka wird Polen in diesem Jahr mit ihrem Dance-Pop-Song „Solo“ vertreten. Doch schon eine Woche vor dem Vorentscheid kamen Gerüchte auf, dass es zu Manipulationen kommen könnte: Eine Regeländerung besagte, dass bei Punktegleichstand die Jurywertung mehr zählen würde. Dann stellte sich heraus, dass Agustin Egurrola, Mitglied der polnischen Jury, der Choreograf von Blanka ist und die Sprecherin der Jury, Edyta Górniak, angeblich eine Beziehung zu Blankas Freund hat. Am Abend des Vorentscheids setzte die polnische Rundfunkanstalt noch einen drauf, als sie zwei Stunden vor der Show veröffentlichte, dass Blanka bereits gewonnen hat – obwohl die Show noch nicht mal begonnen hatte. Obgleich der Beitrag schnell gelöscht wurde, sorgte dies bei den Fans für Empörung. Auch die Tatsache, dass während der gesamten Show die Publikumswertung nicht eingeblendet wurde, sorgte für Unmut. Der Favorit der Fans, der Sänger Jann, landete bei der Jury nur auf dem vierten Platz und hatte somit keine Chance mehr zu gewinnen. Blanka sieht sich seitdem einem regelrechten Shitstorm ausgesetzt und wird insbesondere von den Fans von Jann beleidigt und angefeindet.
Auch die Regelungen beim dänischen Vorentscheid für den diesjährigen Eurovision Song Contest sind nicht ganz durchsichtig. Das skandinavische Land schickt den faröischen Sänger, Influencer und TikTok-Star Reiley ins Rennen. Schon vor dem Gewinn des Melodi Grand Prix-Titels wurde er von einigen als „Industry Plant“ bezeichnet. Der Begriff bezeichnet Künstler:innen, die von großen Labels unterstützt werden und sich dennoch als unabhängig oder eigenständig ausgeben, um eine pseudo-organische Anhängerschaft zu erschaffen. Dafür werden oft falsche Persönlichkeiten erschaffen oder attraktive Menschen ausgewählt, die dann mit Hilfe von Auto-Tune und ein paar Tanzschritten zum Hit gemacht werden. Reiley hat in Südkorea bereits große Erfolge erzielt und konnte sogar mit der K-Pop-Gruppe AB6IX zusammenarbeiten. Und auch in Südkorea begann die Kontroverse. Die ESC-Regeln besagen nämlich, dass Lieder, die nach dem 1. September 2022 aufgeführt werden, disqualifiziert werden sollten, es sei denn, sie waren bereits für den ESC ausgewählt. Reiley trat jedoch im Oktober 2022 in Südkorea mit seinem ESC-Beitrag, dem generischen Synthpop-Song „Breaking My Hear“, auf, dadurch könnte er einen Wettbewerbsvorteil im Vorentscheid bekommen. Reiley hat jedoch bei der Performance andere Lyrics performt und den Song nicht mit dem offiziellen Titel angekündigt, weshalb er trotzdem beim dänischen Vorentscheid antreten und gewinnen konnte. Der 25-Jährige, der sich gerne als Jugendlicher E-Boy präsentiert, darf nun nach Liverpool reisen, um sein Land zu vertreten.
Lord of the Lost: Deutschlands rebellische Wahl für den Eurovision Song Contest 2023
Deutschland hat in diesem Jahr beschlossen, eine völlig andere musikalische Richtung einzuschlagen und schickt die Industrial-Metal-Band Lord of the Lost ins Rennen. Die Band wurde 2007 gegründet und hat seitdem eine treue Fangemeinde mit ihrem Mix aus Glam-Metal- und Gothic-Metal-Songs gewonnen. Ihr Frontmann Chris Harms ist bekannt für seine energiegeladenen und theatralischen Auftritte, die die Zuschauer in den Bann ziehen.
Beim deutschen Vorentscheid, Unser Lied für Liverpool, kämpfte Lord of the Lost ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Schlagersänger Ikke Hüftgold. Am Ende setzte sich die Band jedoch durch und wurde ausgewählt, um Deutschland beim Eurovision Song Contest 2023 zu vertreten.
Das ausgewählte Lied, „Blood & Glitter“, ist ein erfrischender Beitrag für Deutschland. Der rebellische Song wird in der ESC-Community gut aufgenommen, da er sich von den kläglichen Versuchen der letzten Jahre abhebt. Die Lyrics sind etwas generisch und hochgestochen, aber der Song wird sicherlich für Stimmung sorgen.
Nach dem (kurzlebigen) Erfolg von Måneskin ist es verständlich, dass auch Deutschland auf den Rock-Zug aufspringen will. Man kann gespannt sein, wie der Song im Wettbewerb abschneiden wird, aber eins ist sicher: Wir werden dieses Jahr mit Sicherheit mehr als nur null Punkte bekommen.