Die Zeit ist gekommen. Wofür? Ist es die Weihnachtszeit? Die Saison der winterlichen Tristesse? Beides, ja. Doch hauptsächlich ist jetzt die Zeit für die 67. Grammy-Verleihung 2025. Zwischen dem üblichen Alltagschaos habe ich fast übersehen, dass die Nominierten gerade erst bekannt gegeben wurden – und zwar von Brandy Clark, Kirk Franklin, David Frost, Robert Gordon, Kylie Minogue, Victoria Monét, Gaby Moreno, Deanie Parker, Mark Ronson, Ben Platt und Hayley Williams. Erst als ich heute früh zufällig die Schlagzeile sah, dass Beyoncé erneut die Nominierungen anführt, wurde mir klar: die Grammy-Saison ist im vollen Gange.
Also, stürzen wir uns in die Liste der Nominierten! Natürlich werde ich nur über Künstler*innen sprechen, zu denen ich auch etwas zu sagen habe. Ein kleiner Disclaimer vorweg: Auch dieses Jahr gibt es Gerüchte über Bestechung, Grammy-Darlings und Hinterzimmer-Absprachen. Ob die Grammys wirklich noch das Prestige besitzen, das sie früher ausstrahlten, lässt sich durchaus infrage stellen, besonders da andere Award-Shows bereits ihre Bedeutung verloren haben. Bei der Recherche stolperte ich über die Nachricht, dass es den Bravo Otto tatsächlich noch bis 2022 gab, zuletzt gewonnen von den „ganz großen“ Musikern wie Nico Santos, Katja Krasavice und den – „äußerst talentierten“ – Elevator Boys. Ich hoffe, der Sarkasmus ist hier durchgedrungen.
Aber genug von Teenie-Awards. Jetzt wird es ernst, wir sprechen über die Grammy-Nominierten. Lasst uns loslegen.
The Beatles – Now and Then
Als erstes: Now And Then, das als „das letzte Lied der Beatles“ bezeichnet wird, hat es auf die Nominierungsliste für die Record of the Year geschafft. Der Song, fast 60 Jahre in der Mache, wurde ursprünglich von Lennon geschrieben und nun von Paul McCartney und Giles Martin vollendet.
Interessanterweise ist dies die erste Grammy-Nominierung der Beatles seit 1997, und Now And Then ist zusätzlich für den Best Rock Song nominiert. Man stelle sich vor: Man ist ein junger Künstler und verliert gegen eine Band, die sich vor über 50 Jahren auflöste, für ein Lied, das von einem Mann geschrieben wurde, der seit über 40 Jahren tot ist.
Ein Grammy-Gewinn hier wäre für mich eher ein Mitleidspreis als eine Auszeichnung, die die Konkurrenz aussticht.
Beyoncé und Taylor Swift
Die Grammy-Darlings Beyoncé und Taylor Swift sind natürlich wieder im Rennen. Dieses Jahr wird Beyoncé durch ihre Nominierungen zur meistnominierten Künstlerin in der Geschichte der Grammys. Doch sind ihre und Taylors Nominierungen tatsächlich verdient? Meiner Meinung nach: Nein. Beide Alben, sowohl Beyoncés Cowboy Carter als auch Taylors The Tortured Poets Department, gelten allgemein als schwächere Veröffentlichungen beider Künstlerinnen.
Dass The Tortured Poets Department nominiert wurde, zeigt, dass Taylor Swift vermutlich auch dann acht Nominierungen erhalten würde, wenn sie nur ins Mikrofon rülpsen würde. Ein Grammy-Gewinn für dieses Album wäre meiner Meinung nach der letzte Nagel im Grammy-Sarg. Während Taylor in früheren Jahren – vor allem zur 1989-Ära – zurecht gefeiert wurde, wirkt ihre Musik heute zunehmend fixiert auf kommerziellen Erfolg. Ihre Texte, früher clever, haben heute den poetischen Tiefgang von Kinderreimen und werden doch als bedeutungsschwere Poesie vermarktet. Vielleicht bleibt sie zukünftigen Generationen eher als Medienphänomen in Erinnerung denn als herausragende Musikerin.
Cowboy Carter hingegen bietet durchaus einige gelungene Songs und gibt uns einen interessanten Einblick: Wie würde Country-Musik klingen, wenn Beyoncé sie singen würde? Die Antwort: wie Beyoncé, aber mit einem Country-Filter. Songs wie Texas Hold ‚Em, Bodyguard und II Most Wanted mit Miley Cyrus sind solide. Doch für ein echtes Country-Album ist Cowboy Carter letztlich zu sehr von Pop und R&B geprägt.
Amüsanterweise erhielt Beyoncé keine einzige Nominierung bei den diesjährigen Country Music Association Awards, was Bände spricht. Ein Grammy-Gewinn für Cowboy Carter würde sich auch hier nicht ganz richtig anfühlen.
Charli XCX bei den Grammys 2025: Der verdiente Pop-Durchbruch?
Charli XCX, die seit Jahren als eine der innovativsten, aber oft unterschätzten Künstlerinnen im Pop- und Elektrogenre gilt, hat es bei den diesjährigen Grammys endlich in die erste Reihe geschafft. Mit sechs beeindruckenden Nominierungen für ihr Album Brat hat sie in den prestigeträchtigsten Kategorien ihre Anerkennung gefunden: Album of the Year und Best Dance/Electronic Album für Brat, Best Dance Pop Recording für Von Dutch, Best Pop Solo Performance für Apple, Best Music Video für 360 und Best Pop Duo/Group Performance für Guess mit Billie Eilish.
Für Charli und ihre Fans ist das ein großer Triumph. Ihr Album Brat markiert nicht nur ihren bisherigen Höhepunkt als Musikerin, sondern repräsentiert auch eine Bewegung, die Pop in eine Richtung lenkt, die sowohl für das Mainstream-Publikum als auch für ihre langjährigen Fans gleichermaßen aufregend ist. Über die Jahre hat Charli kontinuierlich den experimentellen Rand des Pops ausgereizt – mit einem Mix aus Hyperpop, Synthpop und elektronischen Einflüssen, die inzwischen Teil ihres ikonischen Sounds sind. Doch mit Brat gelang es ihr, ihre oft unorthodoxen Ideen zu einem kohärenten und dennoch riskanten Sound zu bündeln, der sowohl bei Kritikern als auch bei den Hörern auf positive Resonanz stieß.
Die Nominierung von 360 für Record of the Year ist für viele die größte Überraschung, aber auch ein Zeichen der Gerechtigkeit für eine Künstlerin, die lange unterschätzt wurde. Der Track, visuell unterstrichen durch ein fantastisches Musikvideo, verkörpert ihre kreative Kraft und ihren Einfluss auf die Musikindustrie. Charli als Künstlerin und Brat als Album haben in den letzten Monaten Pop-Fans weltweit begeistert und dabei die Frage aufgeworfen, warum es so lange gedauert hat, bis die Grammy-Jury auf sie aufmerksam wurde.
In der Kategorie Best Dance/Electronic Album sehen die Chancen für einen Grammy-Gewinn für Charli besonders gut aus, da Brat dieses Jahr unverkennbar das Genre geprägt hat. In den anderen Kategorien hingegen könnte die Konkurrenz der Grammy-Darlings wie Beyoncé und Taylor Swift Charli einen Strich durch die Rechnung machen. Dennoch bleibt die Hoffnung auf ein Grammy-Wunder: dass Charli für ihre authentische und jahrelange kreative Arbeit belohnt wird und die Anerkennung erhält, die sie und ihre Musik verdienen.
Grammys 2025 im Zeichen des Pop
Die diesjährigen Nominierungen stehen ganz im Zeichen der Popmusik: Neben Charli XCX, Taylor Swift und Beyoncé sind auch Billie Eilish und Chappell Roan gut vertreten. Beide Künstlerinnen haben mit ihren Veröffentlichungen in diesem Jahr nicht nur Erfolg, sondern auch Qualität geliefert.
Billie Eilish:
- Album of the Year: Hit Me Hard And Soft
- Record of the Year: Birds of a Feather
- Song of the Year: Birds of a Feather
- Best Pop Solo Performance: Birds of a Feather
- Best Pop Duo/Group Performance: Guess mit Charli XCX
- Best Pop Vocal Album: Hit Me Hard And Soft
- Best Dance Pop Recording: L’Amour De Ma Vie (Over Now Extended Edit
Chappell Roan:
- Album of the Year: The Rise and Fall of a Midwest Princess
- Record of the Year: Good Luck, Babe!
- Song of the Year: Good Luck, Babe!
- Best New Artist
- Best Pop Solo Performance: Good Luck, Babe!
- Best Pop Vocal Album: The Rise and Fall of a Midwest Princess
Die Nominierungen der beiden sind hochverdient. Besonders Chappell Roan sticht dieses Jahr heraus: The Rise and Fall of a Midwest Princess ist ein Album, das die Geschichten einer jungen, queeren Frau mit Charme und Ehrlichkeit erzählt, ohne dabei an künstlerischer Qualität einzubüßen. Ihre Texte, roh und ungeschönt, sind von einer unerschrockenen Direktheit, die selten im Mainstream-Pop zu finden ist. Doch trotz ihres künstlerischen Erfolges geriet sie in den letzten Monaten auch durch einige Kontroversen in die Schlagzeilen – Tour-Absagen, Paparazzi-Zwist und eine demonstrative Gleichgültigkeit gegenüber der Presse, die teils polarisierte. Trotz dieser Eskapaden bleibt sie vor allem als talentierte Musikerin im Gespräch und wird von vielen als einer der aufregendsten neuen Acts des Jahres gesehen.
Billie Eilish hingegen bleibt ein bewährter Star, der sowohl im Sound als auch im Stil experimentiert. Ihr Album Hit Me Hard And Soft zeigt eine melancholische Reife, die von treibenden Melodien begleitet wird und erneut ihre Fähigkeit unter Beweis stellt, mit einer düsteren, introspektiven Pop-Ästhetik zu spielen.
Auch Sabrina Carpenter konnte einige Nominierungen ergattern. Ihre Erfolge sind beachtlich: Die Nominierungen für Espresso in den Kategorien Best Pop Solo Performance und Record of the Year sind keine große Überraschung, da der Song sowohl beim Publikum als auch bei Kritikern gut ankam. Die Nominierung für Best New Artist hingegen ist eine Farce – Sabrina veröffentlicht Musik seit 2015; was daran „neu“ sein soll, bleibt rätselhaft. Es wirkt fast so, als hätten die Grammys sie endlich bemerkt und beschlossen, sie nachträglich in diese Kategorie aufzunehmen.
Neben ihr sind Künstler wie Benson Boone, Doechii, Khruangbin, Raye, Chappell Roan, Shaboozey und Teddy Swims nominiert. In dieser Kategorie drücke ich definitiv die Daumen für Chappell Roan, die in diesem Jahr die stärkste künstlerische Entwicklung gezeigt hat.
Quick Thoughts
Amüsant: Kendrick Lamar ist mit dem Drake-Diss Not Like Us nominiert. Drake verdrückt sicher irgendwo ein Tränchen.
TikTok-Sternchen Addison Rae ist indirekt nominiert – für den Von Dutch Remix von Charli XCX und A.G. Cook, auch wenn nur A.G. Cook dafür gewürdigt wird.
Dua Lipa hat es auf genau 0 Nominierungen geschafft. Ups.
Leider werde ich während der Grammy Awards auf einem Flug von Taiwan nach Berlin sein und sie verpassen.
Ganz viel neue Musik und eventuell Nominierungen für’s nächste Jahr gibt es in der What’s New?-Playlist auf Spotify. Hier streamen.