// VORWORT
Es gibt Gewinner, Verlierer – und dann gibt es die schlechten Verlierer. Das war schon immer so und wird wohl auch immer so bleiben. Leider zählt Käärijä, der verrückte Finne, der letztes Jahr mit seinem extravaganten Auftritt beim Eurovision Song Contest für Begeisterung sorgte, zu dieser Kategorie. Oder etwa nicht?
Was für ein Event war das! Als bekennender Käärijä-Fan kann ich sagen: Ich war ebenfalls enttäuscht, dass Loreen den ESC 2023 gewonnen hat. Meine jährliche ESC-Party stand voll und ganz im Zeichen des Käärijä-Hypes: Pina Colada gab’s, und Cha Cha Cha war einer meiner meistgehörten Tracks im letzten Jahr. Es blieb spannend bis zur letzten Sekunde, und nahezu ganz Europa schien darauf zu hoffen, dass Käärijä den Sieg verdient nach Hause holt. Doch die Jury entschied anders – Loreen erhielt 340 Punkte und Käärijä nur 150, was ihr den Sieg sicherte.
Das Ergebnis löste eine Welle der Diskussion aus: Sollte die Jury abgeschafft werden? Braucht es sie überhaupt noch? Doch in diesem Jahr haben wir auch gesehen, dass die Jury uns vor manch musikalischer Katastrophe bewahrt. (Ein Blick auf die Televoting-Punkte für Israel genügt.) Aber ohne zu politisch zu werden: Es geht hier um Käärijä, der nach seiner knappen Niederlage auf Konzerten nicht müde wurde, darüber zu sprechen, dass er der wahre Publikumsliebling sei und die Zuschauer ihn zum Gewinner gekürt hätten.
Anfangs konnte ich seine Enttäuschung verstehen. Doch, lieber Käärijä – aka Jere Mikael Pöyhönen – das Leben geht weiter. Passend dazu nennt er sein neues Album People’s CHampion. Ein gewagter Titel, der anfangs fast bitter wirkt. Aber hey, sehen wir das Positive: Käärijä hat ein Album veröffentlicht, während Loreen sich auf gelegentliche Singles beschränkt.
Vielleicht ist der Albumtitel sogar eine ironische Anspielung darauf, was die Menschen über ihn dachten und sagten. Käärijä zeigt hier schließlich nicht nur Verbitterung; es ist auch ein Augenzwinkern an seine Rolle als People’s Champion. Denn letztlich spiegelt sich in dem Album die große Unterstützung der Fans wider und die Medienlandschaft, die ihn nach seiner ESC-Performance zum „Gewinner der Herzen“ erklärt hat.
Schauen wir also mal, was der People’s Champion musikalisch zu bieten hat.
// People's Champion - Review
Mit Ready to Go eröffnet Käärijä sein erstes Post-ESC-Projekt, und sofort wird mir wieder klar, warum ich diesen finnischen Madman so schätze. Die Mischung aus Neue Deutsche Härte und euphorischem Electronicore sorgt für den perfekten Einstieg ins Album. Der Opener ist zwar weniger kompromisslos als einige seiner bisherigen Singles, doch er setzt die ideale Stimmung: eingängig, mitreißend und schlichtweg verrückt.
Als zweiter Track folgt Cha Cha Cha – ein Song, der absolut perfekt gealtert ist. Er zählt zweifellos zu den besten ESC-Songs aller Zeiten. Ein Meisterwerk, das sympathisch, humorvoll und exzellent produziert ist. Was ich an Cha Cha Cha liebe, ist sein unverkennbar europäischer Charakter. Die Kombination aus mitteleuropäischem EDM der späten 90er und deutschem Nu-Metal der 2000er, gepaart mit einer schrägen, finnischen Performance, ist das, was den Eurovision Song Contest ausmacht.
Takavoltti folgt, ein weiterer Eurodance-Banger, der selbst im einsamen Büro für fantastische Stimmung sorgt (Ich spreche aus Erfahrung). Auch ohne Finnisch zu verstehen, merkt man, dass Käärijä seine Texte nicht allzu ernst nimmt (außer wenn es um seine ESC-Niederlage geht). Das Einzige, was man hier tun sollte: die Anlage aufdrehen.
Das Album bringt dann sein erstes Feature mit der Sängerin Erika Vikman. Ruoska ist ein kraftvoller Track, der mit Peitschenschlägen untermalt ist und sich thematisch mit Online-Hass auseinandersetzt – etwas, das Käärijä durch seine Social-Media-Erfahrungen nur zu gut kennt. Loreen-Fans machten sich damals schnell in seinen Kommentarspalten breit und überschwemmten ihn mit Beleidigungen.
Kot Kot wiederum ist eine kuriose Angelegenheit. Zwar passt der Track im Album-Kontext besser als als Single, bleibt aber ein merkwürdiger Pop-Rap-Song, der an der Grenze zum Abstrakten kratzt. Doch hinter dem Refrain steckt ein cleveres Wortspiel: Kot Kot imitiert im Finnischen das Gackern von Hühnern, doch die ständige Wiederholung und die phonetische Nähe zu den schwedischen und norwegischen Wörtern „kåt“ (geil) verleihen dem Song eine doppeldeutige, verspielte Atmosphäre.
Nach einem Skit geht es weiter mit der aktuellen Single Autiomaa. Hier zeigt Käärijä eine andere, nachdenklichere Seite. Textlich wird er unerwartet emotional, was ihn menschlicher erscheinen lässt. Der Song erinnert daran, dass Menschen, die nach außen hin fröhlich wirken, oft die tiefsten inneren Kämpfe ausfechten – so auch Käärijä.
Mit Sex = Money folgt ein abgedrehter Party-Banger, der Acid-Techno und Trap mischt und durch aggressive Beats und eingängige Hooks glänzt. Kein Wunder, dass dieser Song bereits als Single vor dem Albumrelease veröffentlicht wurde.
Bananas, ein Song, der schon auf seinen Konzerten für Stimmung sorgte, darf hier natürlich nicht fehlen. Aufblasbare Bananen wurden zum Markenzeichen der Fans – und auch im Album verbreitet der Track gute Laune. Die Einflüsse der Neuen Deutschen Härte werden hier zugunsten eines elektronischeren Sounds heruntergefahren. Das Ergebnis? Pure Energie.
Huhhahhei schließt nahtlos an und ist wie Santiano auf LSD: eine rasante Kombination, die an Cha Cha Cha erinnert. Käärijä hat „das gewisse Etwas“ und versteht es, eine Melodie zu finden, die uns zum Tanzen bringt. Die Fähigkeit, einen ursprünglich im Metal angesiedelten Song in einen elektrisierenden Pop-Track zu verwandeln, zeigt sein Talent.
Als nächstes folgt It’s Crazy I’s Party, ein weiterer Track im Stil vom ESC-Hit, diesmal in Zusammenarbeit mit dem ebenso exzentrischen estnischen Rapper Tommy Cash (dessen letzte Single Untz Untz nicht ohne Grund nur auf FSK 18-Seiten zu finden ist). Der Song mag in der Trackliste etwas fehl am Platz wirken, da ein ähnlicher Song kurz zuvor zu hören war, doch er bringt dennoch eine zusätzliche, schrille Facette ins Album.
Mit dem Titeltrack People’s Champion endet das Album auf einer nachdenklichen Note. Trotz des treibenden Beats spürt man Käärijäs Verletzlichkeit – sein Schmerz über die ESC-Niederlage zieht sich wie ein roter Faden durch das Album und verleiht dem Abschluss eine melancholische Schwere.
Dieses Album beleuchtet die Herausforderungen, plötzlich im Rampenlicht zu stehen, sich selbst auszubrennen und dabei mit Kritik und Aufmerksamkeit zu kämpfen. Es ist ein unterhaltsames, oft humorvolles Werk, aber auch sehr persönlich. Der kitschige und optimistische Sound mag nicht jedermanns Geschmack treffen, doch das ist genau das, was ich derzeit von Käärijä erwarte.
Am Ende bleibt die Frage: War ich zu hart, als ich ihn als schlechten Verlierer bezeichnet habe? Hat mich das Album eines Besseren belehrt? Vielleicht.
// FAZIT
Käärijäs neues Album People’s Champion ist ein überraschend vielschichtiges Werk, das weit über seine ESC-Niederlage hinausgeht und die komplexe Dynamik zwischen Künstler und Publikum beleuchtet. Thematiken wie das plötzliche Rampenlicht, die Erwartungen der Fans und der Druck, sich immer wieder neu zu beweisen, ziehen sich durch das Album und zeigen Käärijä als Künstler, der sich mit diesen neuen Herausforderungen auseinandersetzt.
Musikalisch bleibt Käärijä seinem exzentrischen Stil treu: die Mischung aus Neue Deutsche Härte, Eurodance und Electronicore ist ungewöhnlich und energiegeladen, doch die Songs sind clever arrangiert und eingängig. Das Album schafft es, humorvolle und emotionale Momente zu verbinden und gewährt einen tiefen Einblick in Käärijäs künstlerische und persönliche Entwicklung seit dem ESC. People’s Champion ist damit nicht nur eine augenzwinkernde Selbstkrönung, sondern auch eine Hommage an seine Fans und eine unmissverständliche Botschaft: Käärijä bleibt sich treu, auch wenn die Welt zuschaut.
Folgt Käärijä hier bei Instagram.
Highlights: Cha Cha Cha, People’s Champion, Autiomaa
Für Fans von: Zweitplatzierten, Rammstein im Techno-Keller und Eurovision
Käärijä ist in der European Discoveries-Playlist als eines der Highlights der Woche vertreten. Hier streamen.